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Yuval Noah Harari: Sapiens

Eine kurze Geschichte der Menschheit

Mit großer Faszination habe ich Hararis Darstellung der menschlichen Entwicklung gelesen. Die aus seiner Sicht entscheidenden Entwicklungsprünge sind sehr plastisch und konkret beschrieben. Aus der Schule habe ich in Erinnerung, dass es im Fach Geschichte vor allem um Kriege ging. Im Gegensatz dazu hebt Harari hervor, welche Fähigkeiten die Menschen im Laufe der Zeit entwickelt haben, die es ihnen ermöglichten, im evolutionären Sinne sehr erfolgreich zu werden, aber auch solche, die uns inzwischen an Grenzen bringen.

Überraschend finde ich z. B. Hararis These, mit der Entwicklung der Landwirtschaft habe der Weizen sich die Menschen untertan gemacht. Bis sie aufkam, lebten die Menschen als "Wildbeuter" (ich kannte bis dato nur die Bezeichnung "Jäger und Sammler"). Laut Harari lebten die Wldbeuter ein recht entspanntes Leben, indem sie umherzogen und aßen, was sie fanden oder erbeuteten. Dafür hätten ein paar Stunden am Tag gereicht, um satt zu werden. Mit Beginn der Landwirtschaft sei dann das Leben der Menschen hart geworden, weil sie sehr viel arbeiten und planen und wirtschaften mussten, um dem Boden genügend Nahrung abzuringen.

Ich kann mir zwar schwer vorstellen, dass es so chillig war, jeden Abend eine sichere Schlafstelle zu finden, sich vor Raubtieren zu schützen, wirklich immer genug Essbares zu finden, vor allem im Winter. Bei Harari klingt die Erfindung der Landwirtschaft wie die Vertreibung aus dem Paradies, und abgesehen von der Frage, ob das Leben der Menschen vorher angenehmer war, hat die Landwirtschaft ja wirklich riesigen Probleme nach sich gezogen. Auf jeden Fall regt Harari dazu an, scheinbare Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen und neue Perspektiven einzunehmen, was ich sehr anregend finde.

Besonders erhellend finde ich Hararis Beschreibung der menschlichen Fähigkeit, sich an Ideen zu orientieren, also nicht materiell vorhandenen "Dingen". Harari spricht in diesem Zusammenhang von "Mythen". Die Fähigkeit, an Mythen zu glauben, ist aus seiner Sicht die Voraussetzung, um Gruppen bilden zu können, die über ein Dorf, in dem jeder jeden kennt, hinausgehen. Als zeitgenössisches Beispiel zieht der Autor die Firma Peugeot heran, deren Logo lustigerweise sehr stark einer frühzeitlichen Skulptur ähnelt, die einen stehenden Löwenmenschen darstellt. Die Fähigkeit von Menschen, in einer sehr großen Gruppe zusammenzuarbeiten, beruht aus Hararis Sicht auf unserer Fähigkeit, an den Mythos z. B. der Firma Peugeot zu glauben. Mit meinen Worten ausgedrückt: die Idee von einer Firma, einem Staat, einer Partei o. ä. hilft uns, an einem Werk mitzuarbeiten, an dem sehr viele Menschen beteiligt sind, die wir nicht persönlich kennen, die aber auch von der gemeinsamen Idee oder dem Mythos zusammengehalten werden.

Ein weiterer Aspekt der menschlichen Geschichte, der mich beschäftigt, ist die Tatsache, dass wir den Eindruck haben, das System, in dem wir gerade leben, sei "alternativlos" (um ein schreckliches "in-Wort" zu benutzen). Es erscheint uns wie "gottgegeben", bis durch irgendwelche Umstände Veränderungen eintreten. Das erinnert mich an eine ZDF-Doku über den Scharfrichter Frantz Schmidt im 16. Jahrhundert in Nürnberg, der Henker werden musste weil sein Vater Henker war. Den Menschen kam es vor, als müsste das so sein, dass die Kinder den Beruf des Vaters übernehmen, weil es in ihrer Wahrnehmung schon immer so war. Frantz Schmidt hat sich zum Ziel seines Lebens gesetzt, dass seine eigenen Kinder nicht Scharfrichter werden mussten - und hat das tatsächlich geschafft und damit vielleicht zu einer Entwicklung beigetragen, deren Früchte wir heute genießen. Danke, Frantz!

Wenn wir denken, dass es keine Alternative zu Kapitalismus, Ausbeutung von Menschen und Natur gibt, ist das vielleicht eine ähnliche Blindheit, wie die in der Gesellschaft Nürnbergs im Jahre 1593.

Angesichts der nur global bewältigbaren Herausforderungen wie der Klimawandel oder Pandemien steht wohl jetzt eine weitere Entwicklungsausgabe für uns Menschen an: sich mit Blick auf die Menschheit als Ganzes organisieren und zusammenarbeiten.

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