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Uri Weinblatt: Contactivity - mit neuer Autorität raus aus der Vermeidung

Immer mehr Familien sind mit der Herausforderung konfrontiert, dass Kinder oder Jugendliche sich zunehmend aus dem normalen Alltag zurückziehen und sich isolieren. Sie vermeiden die alterstypischen Aktivitäten, unter Umständen gehen sie gar nicht mehr zur Schule, und verbringen ihre Zeit stattdessen in ihrem Zimmer, meist vor dem PC.

Nun gehört dieses Phänomen nicht zu meinen Kernthemen, da ich keine Familientherapeutin bin. Ich habe aber erlebt, dass es die Beziehung von Paaren, die zu mir kamen, belastet hat. Und ich schätze den Ansatz der "Neuen Autorität" grundsätzlich sehr, vor allem wegen der grundsätzlich respektvollen, nicht-pathologisierenden, humanistischen Haltung im Kontakt mit Menschen. Der Autor, Uri Weinblatt, bezieht den Ansatz der Neuen Autorität in diesem Buch auf Vermeidungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen und versucht zunächst, dieses Verhalten zu verstehen bzw. verständlich zu machen. Als zentral sieht er an, dass Menschen dazu neigen, sich zurückzuziehen, wenn sie fürchten, beschämt zu werden. Scham gilt als eines der unangenehmsten, wenn nicht das unangenehmste Gefühl, das Menschen empfinden können. Insofern ist Vermeidungsverhalten sehr sinnvoll, indem es das Individuum (zunächst) vor weiterer Beschämung schützt. Allein in seinem Zimmer und gleichzeitig oft via Computerspiel mit anderen Menschen in Kontakt, kann man sich geschützt und zugleich verbunden fühlen. Es gibt die Chance auf Erfolgserlebnisse beim Spielen, ohne dass mögliche Misserfolge Konsequenzen im realen Leben haben.

Um solchen Kindern und Jugendlichen zu helfen, aus ihrer Isolation herauszutreten und sich dem Leben zu stellen, ist es der Erfahrung des Autors nach wichtig zu verstehen, das Vermeidungsverhalten keine Agrression ist, sondern ein Selbstschutz. Und dass weder Druck noch Zwang zielführend sind. Stattdessen empfiehlt er Eltern und Fachleuten, immer wieder "verbindende" statt "problemlösende" Gespräche mit den Jugendlichen zuführen, die immer wieder kleine Schritte darstellen können, mit sich selbst und anderen in Kontakt zu treten. So kann der junge Mensch vielleicht langsam wieder mehr Aktivität in seinem Leben entwickeln. Das klingt jetzt vielleicht etwas abstrakt. Der Autor gibt aber konkrete Hinweise, wie die Erwachsenen sich darum bemühen können, nicht ungewollt weitere Beschämungen zu verursachen. Die Empfehlungen reichen bis zu Frageformen, die konsequent die "gewaltfreie" Kommunikation, die der "Neuen Autorität" eigen ist, widerspiegeln. Die Art von zwischenmenschlichem Kontakt, die diese Art von Kommunikation unterstützt, kann eine Tür sein, die jungen Menschen nach und nach eine Perspektive in die Welt hinaus öffnet - vorausgesetzt, den Erwachsenen ist dabei bewusst,

dass nicht sie etwas ermöglichen, sondern die Initiative wenn dann von den jungen Menschen selbst aus kommt.

Zwar bezieht sich der Autor vornehmlich auf Jugendliche, die sehr viel Zeit mit Computerspielen verbringen und sich dabei aus sozialen Kontakten im familiären und schulischen Umfeld zurückziehen. Ich finde seine Ausführungen aber grundsätzlich wertvoll für den Kontakt mit Menschen, die mit Scham zu kämpfen haben - und haben wir das nicht alle manchmal?

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